Edo, Ein Stern


Ein Traum, ein unangenehmer.


Ich wache auf und die grün leuchtenden Ziffern des Digitalweckers zeigen 03:21.
Es ist Freitag, nein, nicht der dreizehnte. Warum ich schon wach bin? Keinen Schimmer.
Drehe langsam meinen Kopf und suche nach dem Grund des Erwachens. Vielleicht sollte ich mal nach innen schauen. Im Augenblick ist mir aber nicht danach und ich nehme mein Schlafzimmer in Betracht.
Meine Augen wandern tiefer, auf den Fußboden. Der Mund wird noch trockener und das Schlucken fällt mir schwer. Ich sehe was, was du nicht siehst.
Einen Stern.
Ja, nicht stark leuchtend und nicht in der Form, in der man sich Sterne vorstellt. Er scheint mir ausgelaugt und verbraucht, ohne Glanz! Vielleicht ist er ja auch schon älter. Ich bekomme meine Augen nicht von ihm los. Ohne Glanz, aber doch fesselnd. Aber warum ist er bei mir und wie kam er hierher?
Das Fenster steht auf Kippe, da muß er herein gekommen sein. Eine faszinierende Form hat er. Ich setzte mich aufrecht in`s Bett und verliere ihn dabei nicht aus den Augen.
Er bewegt sich nicht, aber er hat es. Ich möchte ihn berühren und beuge mich über ihn. Meine Hände nähern sich seinem Körper. Jetzt spüre ich eine angenehme Wärme. Fasse ihn an. Er läßt es sich gefallen. Während seine Form leicht nachgibt, verspüre ich ein schönes Gefühl. Keine Ecken und keine Kanten, obwohl es ein Stern ist.
Vielleicht habe ich mir ja Sterne auch falsch vorgestellt. Meine zweite Hand gesellt sich zu der anderen und ich möchte ihn aufheben. Nehme ihn vorsichtig hoch, er verformt sich ein wenig. Ich lege ihn neben mich auf`s Bett. Habe das Gefühl, daß wir uns gegenseitig anstarren. Er sanfter, ich anders. Trotzdem verbreitet sich Geborgenheit. Fühle mich gut und werde einfach wieder müde. Schlafe ein. Aber ich sollte doch besser wach bleiben, oder nicht? Lasse meinen Körper entscheiden und bin weg.
Als ich erneut erwache, ist es 06:03 Uhr. Schlecht geschlafen, die Erinnerung kommt zurück und ich drehe mich um. Neben mir ein Stern, der immer noch da ist, obwohl es schon hell ist.
So langsam wird mir mulmig. Wie geht man denn mit Sternen um? Liege ich nun neben einem leblosen Körper, oder lebt und spürt er? Ich betrachte ihn mir sehr genau und akzeptiere ihn so, wie er neben mir erscheint.
Was soll ich denn jetzt machen, wo ich doch gleich zur Arbeit muß? Ich entscheide mich diesen Morgen so zu beginnen, als ob ich alleine wäre und bald gehen müßte.
Wenige Augenblicke später stehe ich auf und begebe mich in`s Badezimmer. Als ich dort bin, höre ich einen dumpfen Knall. Ich haste in`s Schlafzimmer und suche nach der Ursache. Der Stern liegt nicht mehr an der alten Stelle. Ich begebe mich auf die andere Seite des Bettes und sehe ihn auf dem Boden liegen. Gehe auf ihn zu und nehme ihn auf.
Er fühlt sich riesig an, warm, sehr angenehm. Lege ihn wieder auf mein Bett. Warum?
Keine Ahnung! Normalerweise können Sterne doch auch auf dem Boden liegen bleiben.
Es wird Zeit zu gehen. Ich sage "bis später" und beobachte ihn dabei. Er ändert ein wenig seine Form. Ja, es scheint so, als ob er mich verstehen würde. Ich rufe nochmal "tschüß" und achte genau auf ihn. Kein Zweifel! Er bewegt sich tatsächlich. Einmalig! Doch jetzt muß ich gehen und freue mich schon auf den Nachmittag, wenn ich wieder zu Hause sein werde.
Ich entschließe mich dazu, erst mal niemandem von meinem neune Freund zu erzählen, um ihn ganz in Ruhe kennenlernen zu können. Den ganzen Tag über, sehe ich nur noch "Sterne".
Nach der Arbeit schnell noch etwas zum Abendessen einkaufen und dann schnellstens nach Hause. Essen??...Ja, müssen Sterne denn auch etwas essen, oder wovon leben sie? Ich werde ihn fragen. Die Zeit geht nur schleppend um. Endlich wird es 16:00 Uhr. Feierabend!
Ich beeile mich, um aus der Firma zu kommen. Schnell noch ein paar Kleinigkeiten besorgen und dann ab zu meinem neuen Freund. Es ist Wochenende und ich habe jetzt zwei satte Tage, um mich mit ihm zu befassen. Schön!
Um kurz vor halb fünf bin ich zu Hause. Schließe die Wohnungstür auf und laufe in`s Schlafzimmer. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, ich freue mich und es kribbelt in mir.
Er liegt vor mir im Bett. Hatte ich ihn heute morgen auf`s Kopfkissen gelegt, so liegt er jetzt aber am Fußende.
Also kann er sich auch fortbewegen. Ich lege mich zu ihm auf`s Bett. Mit dem Kopf so nah, daß ich seine Wärme im Gesicht spüre.
Fange an zu erzählen, über Menschen, über mich und meine Probleme. Er scheint mir zuzuhören. Als ich eine kleine Pause mache und einen Augenblick verweile, ändert sich seine Farbe ein wenig und ich kann kleine Schatten in seinem Körper erkennen. Die Schatten werden immer schärfer und es bilden sich langsam scharfe Konturen. Ich traue meinen Augen nicht! Und doch, ich kann Wörter erkennen, die in meiner Sprache geschrieben sind. Aneinandergereiht ergeben die von ihm geformten Wörter einen Satz, den ich verstehen kann.
Er stellt sich gerade vor: Sein Name ist "Edo" und er kommt von der Teag Straße, eine der vielen Nebenstraßen im Milchstraßensystem. Ich frage ihn, was ihn denn auf die Erde treibt, in einen für ihn so unnatürlichen Lebensraum.
Seine Antwort verrät mir, daß er mal etwas anderes machen wollte, als nur so im Raum dazustehen und zu leuchten. So hat er sich halt entspannt und einfach fallen lassen. Das kann er auch nur, weil er zu einer Gruppe besonderer Sterne gehört, denen es als einzige vorbehalten ist, solche Sachen zu machen, aber darüber will er mir später mehr erzählen. Ich erfahre weiterhin, daß er normalerweise eine Temperatur besitzt, die mir ein Loch in den Fußboden schmelzen würde und eine Helligkeit, bei deren Betrachtung meine Augen mit Blindheit belegt würden. Auf meine Frage, warum dies jetzt nicht der Fall ist, erfahre ich, daß er seine diesbezüglichen Eigenschaften beim Eintritt in die Atmosphäre verloren hat. Um ihn zu trösten, sage ich, daß mir seine Wärme und sein Glanz sehr gut gefallen. Ich kann ein Zucken an ihm feststellen und glaube, daß diese Bewegung auf Freude zurückzuführen ist. Die Symphatie scheint auf beiden Seiten gleich verteilt.
Wie bei allen Sachen, die man gerne hat und nicht verlieren möchte, denke ich daran, wie es wohl sein wird, wenn er zurück muß. Kann er eigentlich wieder so einfach an den Himmel, in seine alte Position, oder wie wird seine Rückkehr aussehen?
Ich entschließe mich dazu, ihn nicht gleich mit solch schwerwiegenden Fragen zu konfrontieren, sondern erst einmal seine Anwesenheit zu genießen.
Hungergefühle kommen in mir auf und ich frage Edo wovon er denn so lebt. Er erklärt mir, daß er, was Nahrung betrifft eher eine Sache als ein Lebewesen darstellt.
Lebewesen nehmen Nahrung zu sich und scheiden Reststoffe wieder aus, wobei sie ihre Energie aus dem Aufgenommenen erhalten, aber Sachen machen dies nicht, sondern existieren einfach. Neugierig geworden, möchte ich wissen, woher er denn seine ganze Energie nimmt. Sterne versorgen sich untereinander mit Kraft, lese ich. Jeder strahlt Energie in Form von Licht Wellen aus, nimmt aber gleichzeitig die von vielen anderen Sternen ausgestrahlte Energie in sich auf.
Während seiner Erklärung fällt mir auf, daß er ja jetzt alleine ist und daher auf die Unterstützung seiner Mitstrahler verzichten muß. Edo versichert mir, daß er im Augenblick auch nicht soviel Kraft brauche und er mit seinem jetzigen Zustand sehr zufrieden ist. Er möchte wissen, warum ich solche komischen Sachen trage, gemeint ist natürlich meine Kleidung. Ich antworte ihm, daß ich ohne diese Dinge frieren würde. Edo zuckt jetzt wieder an verschiedenen Stellen seines Körpers. Erneut ein Zeichen, daß er Spaß hat. Sterne können sich anscheinend auch freuen.
Immer mehr Fragen, die ich gerne stellen würde, laufen in meinem Kopf zusammen. Ich besinne mich darauf, heute erst mal nur die wichtigsten Dinge zu hinterfragen, um Edo nicht zu überfordern. Ich bitte ihn, mir doch etwas über sein Alter und die Lebensbedingungen von Sternen zu berichten.
Ich erfahre, daß Edo ungefähr 2 Millionen Menschenjahre alt und somit ein Mitbegründer des Himmelsbildes ist. Er hat noch 103 weitere Geschwister, die aus zwei verschiedenen Arten bestehen und sich durch ihre Aufgabe am Himmelsbild voneinander unterscheiden. Wenn man genau darauf achtet, kann man sie auch anhand ihrer Farbstärke auseinander halten. Die Beriden, das sind die etwas greller leuchtenden Mitglieder, haben die Aufgabe sich selbst und die anderen gegen äußere Einflüsse und Kräfte zu schützen. Und das ist nur durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl zu erreichen. Bisher klappt dieses Prinzip ganz hervorragend, auch wenn manch ein einzelner sich schon mal hat gehen lassen. Das gleicht die Gemeinschaft dann wieder aus.
Dagegen haben die Deriden, die Gruppe der blasseren Sterne, zu denen auch Edo gehört, dafür zu sorgen, daß das magnetische Gleichgewicht unter den einzelnen Familienangehörigen bestehen bleibt, und dadurch der Zusammenhalt und die Position jedes Sternes innerhalb der Vereinigung gewährleistet ist. Gleichzeitig wird aber auch jeder aus Edo`s Pakt auf dieselbe Weise von den anderen erreicht. Und das geschieht über eine Entfernung von mehreren Lichtjahren.
Welch eine Kraft! Ich glaube heute ist der Tag des offenen Mundes. Es geht nahtlos weiter; ich muß aufpassen. Seine Gruppe zählt nur sieben Sterne, die auch ungefähr gleich alt sind. Und auch nur diese Art kann sich, so wie Edo es gemacht hat, einfach mal fallen lassen. Mir bleibt der Atem stehen und ich will eine Frage einschieben. Als ob Edo weiß was ich fragen möchte, erklärt er weiter, daß die Gleichgewichtsträger, bevor sie sich fallen lassen, ihre Kraft gleichmäßig auf die anderen Sinnesgenossen verteilen und daher keine Unregelmäßigkeiten auftreten. Dieses Prinzip funktioniert auch nur bei einem Ausfall.
Sobald es zwei Sterne wären, die sich gleichzeitig fallen ließen, würde das gesamte Himmelsbild dieser 103 Sterne zusammenbrechen. Außerdem lerne ich ganz nebenbei, daß Sterne endlos alt werden und Edo während seines langen Daseins noch keinen Stern hat verschwinden sehen und dies auch nicht erleben möchte.
Völlig von der Situation angesteckt, möchte ich nun doch wissen, wie lange er bleiben will und wie er sich seine Rückkehr vorstellt. Ich scheine ihn überredet zu habenund erfahre, daß es Edo keine Probleme bereiten wird, an seinen Platz zurückzukehren. Er kann sich bei Bedarf enorm konzentrieren und so Seinesgleichen ganz einfach erreichen, die ihn innerhalb weniger Sekunden in ihr bestehendes Magnetfeld aufnehmen können. Bei der Rückführung und dem damit verbundenen Durchstreifen der Sphären und der Reibung, beziehungsweise der Hitze, die Edo aushalten müßte, würde er automatisch seine frühere Helligkeit und Temperatur zurück erlangen. Wann der Zeitpunkt des Abschieds kommen wird, kann und will er nicht sagen. Er meint lediglich, daß sein Gefühl für ihn entscheiden wird und dieses nicht zu beeinflussen wäre.
Hört sich gut, aber auch schlecht an, denke ich und werde schon wieder müde. Schon wieder?
Ein Blick auf die Uhr. Der große Zeiger auf der Zehn und der kleine auf der 11 und schon hell draußen.
Mein Gott, wir haben die ganze Nacht hindurch geredet und die Zeit verflog einfach, jedenfalls für mich. Seine letzten Worte haften in mir und falls er so verschwindet, wie er kam, möchte ich wenigstens eine kleine Erinnerung behalten. Etwas was ich in der Hand halten kann. Ich hole meinen Fotoapparat aus der Schublade und lichte Edo mit den letzten fünf Aufnahmen des Films ab. Ganz ohne Blitz, denn er ist ja hell genug. Danach lege ich mich neben ihn, spüre seine Nähe und schlafe ein.
Als ich aufwache, fühle ich mich sehr ausgeruht und ausgeglichen. Der Wecker verrät mir, daß es 06:30 ist. Sonntag. Ja, ich habe sehr lange geschlafen und erinnere mich langsam. Es war bestimmt ein Traum, eine phantastische Geschichte. Drehe mich um. Neben mir der Fotoapparat. Sonst nichts. Kein Stern.
Ich bin mir nicht sicher. Bringe den Film am nächsten Tag zur Entwicklung.
Ein-Stunden-Service. Als ich die Fototasche öffne, betrachte ich zuerst die letzten fünf Bilder.

Alle gleich: ÜBERBELICHTET !!

Eingesand von Andreas! Ich danke dir dafür ;-)

zurück